Samstag, 24. August 2013

Entwicklung der Quantenphysik VIII: Das Planetenmodell

Der letzte Artikel stellte folgendes Problem vor: Atome absorbieren und emittieren nur Strahlung bestimmter Energie. Für das Wasserstoffatom gibt es eine einfache Formel, die die Absorptions- bzw. Emissionslinien beschreiben kann. Doch wie müssen Atome aufgebaut sein, um solche Spektren erzeugen zu können? In unserem Fall: Wie sieht das Wasserstoffatom aus? Es muss auf jeden Fall - das hat man bereits früher herausgefunden - aus einem Kern, in dem fast die gesamte Masse des Atoms sitzt, und einer vergleichsweise enorm großen Elektronenhülle bestehen.

Schließlich gelang es Niels Bohr im Jahr 1913 nach langen Bemühungen, ein Modell des Wasserstoffatoms zu entwerfen, das den Anforderungen gerecht zu werden schien. Dieses Atommodell soll heute vorgestellt werden.
Niels Bohr, um 1922
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Niels_Bohr.jpg)


(Ich werde in diesem Artikel keine Mathematik verwenden. Doch weil die Mathematik hinter diesem Modell recht einfach zu verstehen und ganz nett ist, werde ich sie in einem separaten Artikel anführen. Interessierte können sich nach dem Lesen dieses Artikels dann noch weiter informieren.)

Alle anderen Artikel dieser Serie sind hier zu finden.



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Das Bohr'sche Atommodell ist auch unter dem Namen "Planetenmodell" bekannt. Das hat einen einfachen Grund: In Bohrs Modell kreist das Elektron um den Atomkern. (Wir behandeln der Einfachheit halber das Wasserstoffatom, also haben wir ein Proton und ein Elektron.) Eigentlich müsste man sagen, dass Elektron und Kern um einen gemeinsamen Schwerpunkt kreisen, doch man kann sich das Leben einfacher machen, wenn man sagt, dass der Kern im Mittelpunkt der Elektron-Kreisbahn ruht. Da im Kern fast die gesamte Masse des Atoms enthalten ist, ist diese Vereinfachung legitim und ausreichend exakt.
Nun ist die radiale - also die zum Zentrum bzw. Kern gerichtete - Kraft (Zentripetalkraft), die das Elektron auf einer gekrümmten Bahn hält, die Coulombkraft, also die elektromagnetische Anziehung zwischen negativem Elektron und positivem Kern.
Man kann alleine durch die Beziehung Zentripetalkraft = Coulombkraft bereits einen Ausdruck für den Radius der Kreisbahn erhalten. Bis jetzt ist jeder Radius "erlaubt".

Doch nun kommt die Quantenmechanik ins Spiel - jetzt wirds interessant!
Wir haben bereits früher gesehen, dass man klassische Teilchen (wie ja das Elektron eines ist) durch seine Materiewelle beschreiben kann. Das könnte man ja auch auf das Planetenmodell anwenden, oder?
Was bislang unser Elektron-Teilchen war, ist ab jetzt eine Art Welle, die sich um den Atomkern ausbildet. Allerdings muss eine ganz bestimmte Bedingung an diese Welle gestellt werden, wenn wir fordern, dass das Elektron das Atom nicht verlässt oder in den Kern stürzt. (Wir sind nur an diesen Fällen interessiert, weil Atome - besonders Atome wie das H-Atom - offensichtlich stabil sind und nicht plötzlich zerfallen.) Diese Bedingung lautet: "Zu einem stationären (zeitunabhängigen) Zustand muss eine stehende Welle gehören." Ebenso könnte man sagen, der Kreisumfang der Elektronenbahn muss ein ganzzahliges Vielfaches der Wellenlänge der Materiewelle sein.
Doch wie findet man die Wellenlänge eines Elektrons heraus? - Auch das haben wir bereits früher festgestellt: Es ist die "de Broglie-Wellenlänge" λD = h/(m·v). (h ist dabei das Plancksche Wirkungsquantum, m ist die Teilchenmasse, v die Geschwindigkeit.)

Plötzlich sind nicht mehr alle Radien für die Elektronenbahn erlaubt, sondern nur mehr diejenigen, auf denen sich eine stehende Materiewelle ausbilden kann.
Eine Möglichkeit für eine stehende Welle um den Kern
(Quelle: http://uni-ka.the-jens.de/html/exphys1/exse18.htm)

Stellt euch vor, ihr fangt an, eine Welle um den Kern zu zeichnen, wobei die gezeichneten Wellen immer gleich breit sein müssen. Wenn man nach einem Umlauf wieder am Startpunkt ankommt, muss es sich genau ausgehen, dass man an den Anfang der Welle anschließt, ohne die Wellenbreite zu verändern. Schafft man dies - also, die Welle nach einer Umrundung wieder "zu schließen", sozusagen -, hat man eine mögliche Wellenlänge gewählt, für die eine stehende Welle entsteht.
Eine andere Möglichkeit für eine stehende Welle
(Quelle: http://web.physik.rwth-aachen.de/~hebbeker/web-hu-lectures/hu-lectures/www-eep.physik.hu-berlin.de/_hebbeker/lectures/i400_l06.html)

Das Elektron kann sich also nur auf ganz bestimmten Bahnen bewegen und es gibt obendrein noch einen kleinsten Radius für die erlaubten Bahnen. Dieser beträgt etwa 5,2917·10-11 m (≈ 0,5 Å). (Ein ganz netter Nebeneffekt ist außerdem, dass man diesen Radius auch aus der Heisenbergschen Unbestimmtheitsrelation mit Einbeziehung der Energie des Elektrons herleiten kann. Immer wieder schön, wenn eine Theorie so konsistent ist, oder?)

Man sieht also, dass durch die Beschreibung des Elektrons durch seine Materiewelle unter der Annahme, dass für stationäre Zustände nur Bahnen mit stehenden Wellen vorkommen können, die Elektronenbahnen gequantelt werden.

Damit können wir nun auch die Absorptions- bzw. Emissionsspektren des Wasserstoffatoms verstehen.
Fällt Licht (also Lichtquanten mit der Energie E=h·ν) auf das Atom, so kann das Elektron die ankommende Energie aufnehmen - jedoch nur, wenn die Energieerhaltung erfüllt sein kann! Da das Elektron nur auf bestimmten Bahnen sein darf und nicht dazwischen, kann es auch nur Energien aufnehmen, die es von einer Bahn direkt auf die nächste (oder übernächste etc.) befördern. Das erklärt, warum Atome nicht Licht jeder Frequenz (die wegen E=h·ν wiederum proportional zur Energie ist) gleich gut aufnehmen. Energie kann nur absorbiert werden, wenn sie genau ausreicht, um das Elektron im Atom von einer niedrigeren Bahn auf eine höhere anzuheben.
In einem solchen "angeregten Zustand" verweilen Atome nicht lange, denn so wie alles in der Natur wollen auch Atome auf Dauer lieber im Zustand niedrigster Energie verweilen. Dieser niederenergetischste Zustand wird nun mal dann erreicht, wenn sich das Elektron auf der innersten Bahn befindet. Also fällt das Elektron, wenn es einmal in eine höhere Schale angehoben wurde, ganz schnell wieder in eine niedrigere zurück. Energieerhaltung muss auch diesmal wieder gelten (die gilt übrigens immer in der Physik, wie ihr sicher schon vermutet habt ;-) ). Die Energie, die vorher in das "Anheben" des Elektrons gesteckt wurde, wird nun beim "Zurückfallen" wieder freigesetzt - und zwar in Form eines Photons, es wird also Licht emittiert.

Vergleicht man nun das Absorptionsspektrum mit dem Emissionsspektrum des Wasserstoffatoms, so macht alles sehr viel Sinn, oder? Das Spektrum für Wasserstoff unterscheidet sich deshalb von den Spektren anderer Atomsorten, weil in anderen Atomen die Energieniveaus ("Elektronenbahnen") anders aufgeteilt sind, sodass die hüpfenden Elektronen andere Energie absorbieren bzw. emittieren.
Absorptions- und Emissionsspektrum von Wasserstoff
(Quelle: http://www.astronomyknowhow.com/hydrogen-alpha.htm)


Ist dieses Bohrsche Planetenmodell nun die ganze Wahrheit?
Leider muss ich euch enttäuschen - es gibt einige Probleme mit diesem Modell, sodass es nicht der Wirklichkeit entsprechen kann. Ein paar Komplikationen möchte ich hier anführen:
  • Laut Elektrodynamik müsste das Elektron elektromagnetische Strahlung abgeben, weil es ja eine bewegte Ladung ist und bewegte Ladungen nun mal derartige Strahlung emittieren. Dadurch müsste es Energie verlieren und in den Atomkern stürzen. Das Bohr-Modell nimmt einfach an, dass genau das nicht passiert, indem es stabile Bahnen fordert. Diesbezüglich steht es im Widerspruch zur klassischen Elektrodynamik.
  • Atome mit mehr als nur einem Elektron werden durch dieses Modell nicht beschrieben.
  • Die Relativitätstheorie wird nicht berücksichtigt, obwohl das Elektron auf seiner innersten Bahn bereits 1 % der Lichtgeschwindigkeit hat.
  • Weitere, tatsächlich beobachtete Aufspaltungen der Energieniveaus des Wasserstoffatoms (z. B. anomaler Zeemann-Effekt, Lamb-Shift) kann das Planetenmodell nicht erklären.


Dennoch muss man Bohrs Modell zu Gute halten, dass es sehr viele experimentelle Resultate mit großer Genauigkeit zu erklären vermag. Natürlich hat es auch aufgrund der Analogie zu unserem makroskopischen Sonnensystem einen gewissen ästhetischen Reiz.


(Falls jemand an einer etwas detaillierteren Beschreibung des Bohrschen Atommodells interessiert ist - hier geht' weiter!)


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