Sonntag, 12. Mai 2013

Entwicklung der Quantenphysik V: Der Zufall kommt ins Spiel

Der letzte Artikel hat viele Fragen offen gelassen!

Wie sich herausgestellt hat, kann man Eigenschaften, von denen man vorerst glaubte, dass sie nur auf Photonen - die kleinsten Energiepakete der elektromagnetischen Strahlung - zutreffen, auch auf "Teilchen" wie Elektronen, Neutronen, Atome, etc. anwenden. Als logische Konsequenz dessen muss man einem Teilchen plötzlich eine charakteristische Wellenlänge zuordnen - die sog. de Broglie-Wellenlänge. Eigentlich schon ziemlich verrückt, oder?
Wir haben gesehen, dass sich Elektronen (und auch andere Teilchen) in Experimenten genauso wie Photonen (also wie z. B. Licht) verhalten können. So erzeugen Elektronen hinter einem Doppelspalt ganz analoge Interferenzerscheinungen.
Es drängt sich die Frage auf: Ist diese wellenartige Beschreibung die richtige für unsere Materie? Und um es gleich vorwegzunehmen: Nein, ist sie nicht. Denn man muss einige Modifikationen vornehmen, die unser Verständnis von der Welt vollkommen umkrempeln.



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Um ein Teilchen als Welle zu beschreiben, stellt man es in einer mathematischen Form dar, die der eines Lichtteilchens gleicht. (Keine Angst, ich werde alle mathematischen Herleitungen überspringen und die Resultate nur verbal beschreiben. Ihr müsst mir das dann halt einfach glauben. ;-) )
Dabei kommt man drauf, dass es Diskrepanzen zwischen dieser Annahme und der Realität gibt. So laufen solche Materiewellen mit der Zeit auseinander und breiten sich im ganzen Raum aus. Teilchen tun das allerdings nicht! Ein Atom ist ja unserer Erfahrung doch mehr oder weniger irgendwo im Raum lokalisiert.
Das Problem lässt sich lösen, wenn man sog. Wellenpakete einführt. Man könnte auch Wellengruppen dazu sagen. Dabei überlagert man unendlich viele Wellen ähnlicher, aber unterschiedlicher Frequenzen. (So realitätsfern das klingen mag - im Rahmen der Mathematik macht das schon Sinn!) Das führt dazu, dass diese Überlagerung von Wellen auf einmal maximale Amplituden an bestimmten Orten haben. Die Welle ist also an manchen Orten besonders "groß" und an anderen sehr "klein". Die Materiewelle ist somit lokalisiert.
Ausbreitung eines eindimensionalen Wellenpakets
(Die von uns besprochene Welle entspricht der Einhüllenden dieses Pakets kleinerer Wellen
und bewegt sich mit der sog. Gruppengeschwindigkeit der Pakets. Die kleineren Wellen
bewegen sich mit der sog. Phasengeschwindigkeit.)1

Super! - Genau das wollten wir erreichen, oder?
Ja, das stimmt. Wir haben nun eine Funktion gefunden, die Teilchen als Materiewellen beschreibt. Und das ist aus folgenden Gründen gar nicht mal so schlecht:
  • Das Wellenpaket, durch das ein Teilchen mit Masse beschrieben werden kann, ist im Gegensatz zur zuvor angenommenen Welle lokalisiert. (Es hat nur an bestimmten Orten maximale Amplituden.) Dieses Maximum ist übrigens mindestens so breit wie die de Broglie-Wellenlänge des Teilchens, wie man rechnerisch schnell zeigen kann.
  • Die Geschwindigkeit, mit der sich das Wellenpaket fortbewegt, ist gleich der Teilchengeschwindigkeit. (Auch das ist ein direktes Ergebnis der mathematischen Herleitung.)
  • Auch der Teilchenimpuls ist direkt aus der Funktion des Wellenpakets ableitbar.

Doch so schön diese Wellenbeschreibung eines Teilchens auch klingen mag, sie wirft folgende Probleme auf:
  • Die Wellenfunktion kann nicht nur positive, reelle Werte annehmen, die für die physikalische Realität relevant sind, sondern auch negative und komplexe. Letztere Werte lassen sich eben nicht auf reale Messgrößen übertragen.
  • Die Breite des Wellenpakets nimmt mit der Zeit zu. Ein dünnes, sehr fein lokalisiertes Paket läuft also während der Ausbreitung im Raum immer weiter auseinander. Das steht im Widerspruch zum klassischen Teilchen, das ja seine Form beibehält.
  • Wir beschreiben mit diesem Wellenpaket-Modell ja Teilchen wie z. B. Elektronen. Diese sind unteilbar. Nun kann eine Welle aber in zwei oder mehrere Wellen aufgeteilt werden (z. B. in einem Strahlteiler) - ganz analog zu einer Wasserwelle, die man teilen kann, worauf sich die einzelnen Teile in verschiedene Richtungen weiterbewegen.
Wir haben also immer noch keine auf die Realität zutreffende Beschreibung von Teilchen gefunden.


Diese großen Diskrepanzen veranlassten den deutschen Physiker Max Born dazu, eine statistische Deutung der Materiewellen vorzuschlagen.
Max Born2

Stellt euch die Situation vor, bei der eine Welle (z. B. Lichtwelle) auf eine Grenzfläche trifft. Ein Teil der Welle wird reflektiert werden, der andere transmittiert. Dies trifft auch auf die Materiewelle zu (eh klar, ist ja auch eine Welle). Ein Teilchen kann aber nicht reflektiert und transmittiert werden - es ist ja unteilbar!
Born schlug also vor, dass man sich die reflektierten bzw. transmittierten Anteile der Materiewelle als Wahrscheinlichkeiten für Reflexion bzw. Transmission vorzustellen hatte.

So kann die Ausbreitung einer solchen Wahrscheinlichkeits-Materiewelle z. B. aussehen, wenn sie auf eine Grenzschicht trifft, an der sie teilweise reflektiert wird (der Grund dafür, dass sie im folgenden dargestellten Fall auch transmittiert wird und die Grenzschicht durchdringt, ist der Tunneleffekt, über den ich auch schon mal geschrieben habe):
Reflexion der Wellenfunktion an einer Grenzschicht3

Um nochmal zusammenzufassen:
Jedes Teilchen mit Masse kann durch ein Wellenpaket dargestellt und durch eine Funktion, die vom Ort und von der Zeit abhängt, beschrieben werden. Über diese Wahrscheinlichkeitsdichte (eigentlich über ihr Absolutquadrat) kann man herausfinden, wie wahrscheinlich man ein Teilchen in einem bestimmten Volumen zu einem bestimmten Zeitpunkt antrifft. Zum ersten Mal kommt also dieser quantenmechanische Zufall für die Beschreibung der Natur ins Spiel, an den große Persönlichkeiten, wie etwa Albert Einstein, einfach nicht glauben wollten. Mittlerweile hat man weitgehend akzeptiert, dass in unserer Welt auf der kleinsten Ebene der Zufall waltet und kann damit sogar enorm gut umgehen.

Abschließend möchte ich euch noch zu folgender Überlegung veranlassen:
Die Wahrscheinlichkeit, dass man ein Teilchen irgendwo im unendlich ausgedehnten Raum findet, ist gleich 1 (also 100 %). Das ist eh völlig logisch, denn irgendwo muss das Teilchen einfach sein.
Doch sobald man nach der Wahrscheinlichkeit fragt, ein Teilchen in einem endlichen Volumen (egal ob groß oder klein) zu finden, hat man dafür keine absolute Sicherheit mehr. Denn die Materiewelle hat keine scharfen Grenzen - zwar ist die Wahrscheinlichkeit ums Zentrum der Welle am größten, doch ist sie andernorts niemals (!) gleich Null. Man kann also ein Teilchen niemals exakt an einem Ort lokalisieren. Die Ortsbestimmung ist immer mit einer gewissen Unschärfe verbunden!

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf möchte ich auf den nächsten Artikel verweisen, der diese Unschärfe und deren Konsequenzen genauer unter die Lupe nimmt.
Vielleicht klingelt es beim Wort "Unschärfe" im Zusammenhang mit der Quantenphysik bereits bei dem einen oder anderen - es wird nämlich um die prominente Heisenberg'sche Unbestimmtheitsrelation gehen.



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1 Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Wave_packet_(no_dispersion).gif
2 Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Max_Born.jpg
3 Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:EffetTunnel.gif


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