Dienstag, 15. Januar 2013

Das Steppdeckenmultiversum - Doppelgänger in Parallelwelten

Anmerkung: Diesen Artikel habe ich aus meinem alten Blog übernommen. Ursprünglich wurde er am 25.09.2011 veröffentlicht.



Das Universum ist groß.
Sehr groß.
Doch ist seine Ausdehnung begrenzt, oder breitet es sich in alle Richtungen unendlich weit aus? Macht das bei dieser enormen Größe überhaupt einen Unterschied?
In der Tat! - Falls das Unviersum unendlich groß ist, stellt sich heraus, dass es weitere Welten gibt, die der unseren Welt - also unserem Universum - womöglich verblüffend ähnlich sind.
In diesen Universen sitzen Personen, die wie du aussehen, sich wie du verhalten, die gleiche Kleidung tragen, die selben Gedanken haben etc. - Personen, die sich durch nichts von dir unterscheiden und die alle deine Freunde ohne zu zögern als "dich" identifizieren würden. All diese dir ähnelnden Personen würden du sein.
Ist das Universum also unendlich groß, hat jeder von uns Doppelgänger, von denen keiner das Recht hat, jeweils sich selbst als "das wahre Ich" zu bezeichnen.

Drei relativ einfach zu verstehende Tatsachen kombiniert führen zu diesen fremdartig wirkenden, abstrakten Schlussfolgerungen.

  1. Die Lichtgeschwindigkeit ist zwar enorm groß, jedoch endlich. Nichts kann sich schneller durch den Raum bewegen als Licht - nicht einmal irgendeine Information.
    Deshalb könnte man meinen, das Universum durchmesse heute höchstens 27,4 Milliarden Lichtjahre. (Es ist etwa 13,7 Mrd. Jahre alt, hätte sich höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten können und würde somit einen Durchmesser von 2 mal 13,7 Mrd. Lichtjahren haben.) Tatsächlich können wir aber ca. 41 Mrd. Lichtjahre weit sehen. Das liegt daran, dass sich durch die Expansion des Raumes (welcher sich auch schneller als mit Lichtgeschwindigkeit ausdehnen kann - lediglich Objekte im Raum sind auf die Lichtgeschwindigkeit beschränkt!) Objekte weiter entfernt haben, während ihr ausgesandtes Licht auf dem Weg zu uns war. Wichtig ist allerdings nicht diese riesige Zahl, sondern die Tatsache, dass es eine Grenze gibt, hinter die wir nicht sehen können. Licht (und somit jegliche Information) von hinter dieser Grenze hatte seit der Entstehung des Universums nicht genügend Zeit, um zu uns zu gelangen.
  2. Wir können also nur einen Teil des Universums sehen - jenen Teil, in dem das Licht von Beginn an ausreichend Zeit hatte, uns zu erreichen. Zu allem, was dahinter liegt, haben wir keinen Zugang, nicht einmal theoretisch. Die Grenze zwischen unserem sichtbaren Universum und dem noch unsichtbaren nennen wir "kosmischen Horizont". Unser beobachtbares Universum stellt also nur eine Art "Insel" in einem größeren Universum dar. Mögliche Universumsbewohner hinter unserem kosmischen Horizont haben wiederum ihren eigenen kosmischen Horizont; es ist stets eine "Insel" von etwa 41 Mrd. Lichtjahren Radius.
  3. Der dritte Punkt führt uns zu ganz anderen Überlegungen:
    Wir stellen uns vor, eine gute Bekannte ist leidenschaftliche Sammlerin von Kleidern und Schuhen. Sie hat mittlerweile stolze 50 Kleider und 100 Paar Schuhe. Sie ist bemüht, an jedem Tag eine andere Kleid-Schuh-Kombination zu tragen. Dazu hat sie 5000 Möglichkeiten. Sie kann also etwa 14 Jahre lang jeden Tag eine andere Kombination anziehen. Nach 14 Jahren muss sie wohl oder übel etwas anziehen, was sie schon einmal anhatte, denn sie hat in all den Jahren alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Unsere Bekannte wird recht alt (denn sie lebt ja recht gesund) - man wird sie in ihrem Leben also öfter mit gleichen Kombinationen von Kleidern und Schuhen antreffen. Wir stellen uns nun vor, unsere Bekannte lebt unendlich lang. Wie sie das macht, interessiert uns gar nicht. Wenn sie unendlich lange lebt, wird sie immer wieder gleiche Kombinationen tragen müssen, weil sich ihre Outfits spätestens alle 14 Jahre wiederholen. "Immer wieder" bedeutet im Falle einer unendlichen Zeitdauer ...unendlich oft. Sie hat also jede mögliche Kombination unendlich oft an in ihrem unendlichen Leben. Anders würde es aussehen, wenn sie unendlich viele Kleidungsstücke hätte. Dann gingen ihr die Möglichkeiten nicht aus und sie würde jeden Tag etwas anderes tragen - auch wenn sie unendlich alt werden würde.
    Eine endliche Anzahl von Möglichkeiten führt uns in diesem Fall zu einer unendlichen Anzahl von Wiederholungen - vorausgesetzt die Zeitdauer ist unendlich groß.
    Wir müssen weiters wissen, dass auch unser sichtbares Universum nur eine endliche Anzahl an Teilchen etc. hat, die es beinhalten kann. Denn würde man unserem Universum immer mehr Teilchen zuführen, würde es irgendwann zu einem schwarzen Loch werden, das nur mehr weiter anwachsen könnte. Es stellt sich also die Frage, wie viele Kombinationen von diesen verschiedenen Teilchenanordnungen (genauer Quantenzuständen) es innerhalb unseres kosmischen Horizonts geben kann. Berechnungen zeigen, dass die maximale Anzahl solcher Kombinationen 1010122 ist - eine gigantische Zahl, aber sie ist nicht unendlich groß!


Wenn das Universum nun unendlich groß ist, gibt es unendlich viele solcher "Inseln" der Größe unseres kosmischen Horizonts.
Und da es innerhalb eines kosmischen Horizonts nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten verschiedener Teilchenkombinationen gibt, bestehen unendlich viele weitere "Inseln", die zufällig die gleiche Konfiguration von Teilchen haben - vorausgesetzt das Universum ist unendlich groß.
Es gibt weiters unendlich viele "Inseln", die eine so ähnliche Teilchenanordnung besitzen, dass sie unter praktischen Gesichtspunkten nicht von unserem unterscheidbar sind.

Geht man davon aus, dass die Gesamtheit eines Menschen (Körper, Charakter etc.) durch die gefinkelte Anordnung der Teilchen, die ihn aufbauen, definiert werden kann, dass ein Mensch also nicht mehr ist als eine für ihn ganz typische, undurchschaubar komplexe Anordnung und Kombination von Teilchen ist und es keine Art "Seele" gibt, die einem Menschen individuelle Eigenschaften verleiht (ich persönlich bin dieser Meinung), dann gäbe es in einem unendlich weiten Universum unendlich viele Doppelgänger des eigenen Ich's. Diese Doppelgänger würden sich durch rein gar nichts voneinander unterscheiden. Es gäbe unendlich viele Doppelgänger von mir, die in unendlich vielen Universen gerade diesen Text in den Computer eingeben. Es gäbe auch unendlich viele Doppelgänger von dir, die gerade diese Wörter lesen. Einige dieser "Du's" sind verwundert, was die unendliche Anzahl von Parallelwelten angeht, andere glauben das schlicht und einfach nicht, wiederum andere sind gelangweilt und andere begeistert von diesen Ideen. Einige deiner Doppelgänger schalten irgendwo gleich ihren Computer aus, andere fangen an, ein Spiel zu spielen. Viele - unendlich viele - werden heute noch ins Kino gehen und genau so viele in einem Autounfall sterben.
Alle möglichen Universen sind realisiert. Dabei sind (unendlich) viele ganz anders als das unsere, aber (unendlich) viele gleichen dem unseren. Der Grund ist, dass sich irgendwo in der Unendlichkeit Kombinationen von Teilchen wiederholen müssen, da unser Universum nur eine begrenzte Anzahl an möglichen Anordnungen von Teilchen hat.


Diesem Bild des Universums gibt Brian Greene in seinem neuen Buch "The Hidden Reality" (von dem ich übrigens starke Anleihen für diesen Artikel genommen habe) den Namen quilted multiverse, was man mit "Steppdeckenmultiversum" übersetzen könnte. So wie eine Steppdecke verschiedene, voneinander klar abgetrennte Bereiche hat, so hat das Universum in diesem Szenario zahllose "Inseln", die jeweils für sich und isoliert von allem, was außerhalb ist, existieren.

American quilt, taken in Textile Museum of Canada in Toronto, ON.
(Bild von Wikimedia Commons)


In diesem sehr zu empfehlendem Buch bespricht Greene einige mögliche Szenarien für Mulitversen. Denn moderne Wissenschaft legt den Schluss nahe, dass unser Universum und unsere erlebte Realität möglicherweise nicht die einzige ist.

So lässt sich dieses Bild des "Steppdeckenmultiversums" in andere Multiversumstheorien einbetten. Das Konzept des Inflationären Multiversums - beispielsweise - hat eine mögliche große (oder unendliche) Zahl an Universen zur Folge, die an verschiedenen Stellen ständig entstehen und sich nebeneinander entwickeln. Innerhalb dieser Universen scheint der Raum unendlich groß zu sein. (Das liegt daran, dass sich von außen betrachtete, unendlich scheinende Zeit während der Entstehung und Entwicklung einer "Universumsblase" in unendlich erscheinenden Raum verwandelt. Doch das lest ihr bei Interesse besser selbst nach.) Ein unendlich großer Raum ergibt wiederum eine unendliche Anzahl an Parallelwelten ("Inseln"), wie wir in diesem Artikel gesehen haben. Es befinden sich also unendlich viele Universen in einem übergeordneten Universum, die wiederum unendlich viele Universen enthalten.
Eigentlich zu viel für ein menschliches Hirn, oder? ;-)


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